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Atelier Kerstin Carbow
 

Ansprache zur Einweihung des Raumes der Stille im Neubau des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg am 19. Juni 2013

Sehr geehrte Anwesende,

wer Kunst betrachtet, möchte berührt werden oder im erweiterten Sinne etwas erkennen. Diese Intention verfolge ich als Gestalterin von Kunstwerken. Meine Kunst ist niemals nur schmückendes Beiwerk, sondern nimmt auf sensible Weise an den Prozessen teil, die sich im Raum ereignen. Mein Schlüssel dafür ist Empathie: Ich habe im Laufe der Zeit gelernt, mit großer Sicherheit meiner Intuition zu folgen. Gefühlte Intuition nicht im Sinne von purer Emotion, sondern im Sinne von innerer Gewissheit! Ich vertraue meinen Wahrnehmungen und mache sie durch Farbe und Wort sichtbar für den Betrachter.
So war es auch für diesen Raum der Stille. Die erste Frage, die ich mir stellte, lautete daher: Für wen wird dieser Raum sein? Was wird hier gebraucht?
Ich musste mich einfühlen, einfühlsam sein, lauschen …

Bei Konzept und Entwurf war mir von Anfang an sehr wichtig, nicht nur für Patienten und ihre Angehörigen einen Ort der Besinnung zu gestalten, sondern auch für Ärzte, Therapeuten und Pflegepersonal eine Insel der Ruhe zu schaffen! Obwohl meine Auftraggeber Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen sind, haben wir relativ rasch den Konsens gefunden, dass dieser Raum in jeder Hinsicht Offenheit ausstrahlen und daher im weitesten Sinn überkonfessionell angelegt sein soll.
(Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich Herrn Pfarrer Weber und Herrn Dr. Rhode für Ihre Offenheit und Toleranz und Ihren enormen Vertrauensvorschuss in meine Ideen. Die Zusammenarbeit mit Ihnen war mir eine Freude.)

Doch wie gestaltet man einen Andachtsraum, der ohne allgemein bekannte religiöse Symbole auskommen soll, damit er gleichermaßen von Menschen aller Konfessionen und Weltanschauungen genutzt und angenommen werde kann? Und wie kann ich trotzdem die christliche Botschaft einarbeiten, ohne dass sich jemand daran stößt oder sich gar missioniert fühlt? Eine interessante Herausforderung!

Mein gesamtes Kunstwerk spricht – ähnlich einem mittelalterlichen Tafel- oder Altarbild – eine teils verborgene Symbolsprache. Eine große Dreiheit bildet dabei die Verknüpfung der Farbe Blau mit den goldenen Worten und dem Symbol des Labyrinthes.

Beginnen wir mit dem im Zentrum stehenden Labyrinth:

Labyrinth – Bei diesem Wort denkt fast jeder zuerst an einen Irrgarten mit Sackgassen, Kreuzungen und Verzweigungen, in denen man sich leicht verlaufen kann. Dabei sieht das klassische Labyrinth ganz anders aus: Nur einen einzigen, unverzweigten Weg gibt es darin, und der führt sicher ans Ziel – in die geheimnisvolle Mitte – und wieder heraus.

Herman Kern (1941-1985) drückt das so aus:
"Im Labyrinth verliert man sich nicht,
im Labyrinth findet man sich,
im Labyrinth begegnet man nicht dem Minotaurus,
im Labyrinth begegnet man sich selbst."

Der vielfach gewundene Weg in die Mitte ist ein Gleichnis für das menschliche Leben mit all seinen Krisen und überraschenden Wendungen. Verschlungene Pfade und Umwege sind niemals unnütz, sondern enthüllen sich als sinnvolle Muster. Daher lautet für mich die klare Botschaft des Labyrinths: Lass dich getrost auf den Weg ein, denn du wirst die Mitte finden! Und das, was man in der Mitte des Labyrinths gefunden hat, darf man gestärkt ins Außen tragen.
(Übrigens steckt die "Mitte" nicht nur im Wort "Medi-tation" sondern ebenso im Wort "Medi-zin".)

Mein Labyrinth besteht, in Anlehnung an die Idee eines "Lebensfilms", aus Hunderten von kleinen Collage-Quadraten. In viele dieser Quadrate habe ich Worte hinein-geschrieben. Der aufmerksame Betrachter kann nicht nur Zitate von islamischen Mystikern, von König David aus dem Psalter sowie alle ICH-BIN-Worte des Christus aus dem Johannesevangelium finden, sondern wird vielleicht auch entdecken, dass das gesamte Labyrinth von der Bergpredigt, inklusiv des Vaterunsers, kalligraphisch umschrieben ist.

Nun zu den goldenen Worten:

Das Wort - gerne im Sinne des Prologs zum Johannesevangelium zu verstehen - nimmt auch in diesem meiner Werke einen besonderen Raum ein. Denn die acht goldenen Worte sind weit mehr als nur einfache Worte! Sie sind mit Bedacht ausgewählt und zusammengestellt und dienen dazu, den Betrachter in eine hoffnungsvolle und aufbauende Grundstimmung in die Tiefe des Kunstwerks zu führen.

Die aus Holz gearbeiteten und von Hand mit Blattgold belegten Buchstaben bilden mit der Leinwand eine Art Triptychon. Gold ist ein edles und reines Metall, das sich beispielsweise nicht (wie Silber oder Kupfer) durch Oxydation verändert. Es hat einen Bezug zur Sonne, (ohne die ja kein Leben auf diesem Planeten existieren würde), zum Licht und zum Herzen. (In der Medizin ist Gold übrigens ein Herzmittel. Darüber hinaus stärkt das Sonnenmetall Gold das Immunsystem und hellt die Stimmung auf; es gibt einem Zuversicht und Selbstvertrauen.) Gold braucht das Licht, denn ohne Licht könnte es nicht glänzen. Ich verwende Blattgold in meinen Kunstwerken als Hinweis auf das Ewige, Unwandelbare und Strahlende: Auf die Quelle alles Seins – auf Gott.

Bei der blauen gebogenen Wand hat mir das ikonographische Bild der Schutzmantel-Madonna Pate gestanden. Gleich wie der blaue Mantel der Maria umfängt das Halbrund den hier Sitzenden schützend und behütend und erzeugt ein Gefühl von Geborgenheit. Die Farbe Blau erinnert an den Himmel oder die Weite des Meeres. Blau macht den Betrachter ruhig und entspannt.

Diese besondere Wirkung habe ich durch das Anlegen von Lasuren verstärkt; die 12 Quadratmeter der Bogenwand sind in sehr vielen hauchdünnen Farbschichten aufgebaut. Dadurch scheint das Blau lebendig zu pulsieren. Bringt man genügend Zeit mit und kann sich in dieses ruhige und zugleich lebendige Blau vertiefen, so wird sehr bald das Empfinden groß und weit. Die Lungen weiten sich und man kann tief ein- und ausatmen. Es löst sich etwas im Inneren. Die Gefühle klären sich und die Alltagshektik verstummt. Wie selbstverständlich stellt sich eine heilende Ruhe ein.

Ich möchte zu diesem Farbphänomen gerne zwei berühmte Maler des 20. Jahrhunderts zitieren. Wassily Kandinsky schreibt über die Wirkung des Blauen: "Die Neigung des Blau zur Vertiefung ist so groß, dass es gerade in tieferen Tönen intensiver wird und (…) innerlich wirkt. Je tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich nach Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels, so wie wir ihn uns vorstellen bei dem Klang des Wortes "Himmel"." (aus: über das Geistige in der Kunst.)

Und der Bauhauslehrer und Farbtheoretiker Johannes Itten beschreibt es poetisch:
"Blau zieht unseren Geist auf den Schwingungen des Glaubens in die Ferne der Unendlichkeit des Geistes." (aus: Kunst der Farbe.)

Es gäbe noch sehr viel zu meinem Kunstwerk zu erzählen: Beispielsweise, das sich im Labyrinth eindeutig ein Kreuz verbirgt, was die Grundelemente Quadrat und Kreis mit dem Labyrinth zu tun haben, warum gerade Gotthold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn in den kleinen Quadraten abgebildet sind, und was dort mit weißer Schrift kryptisch in der Mitte geschrieben steht. Doch meine Redezeit ist leider begrenzt…

Da jedes wahre Kunstwerk bekanntermaßen klüger ist als sein Künstler, wird es sicher auch ihrerseits Entdeckungen geben, die ich vielleicht nicht beabsichtigt habe!
Ich zitiere dazu den französischen Literatur-Nobelpreisträger André Gide (1869-1951):
"Jedes Kunstwerk ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und dem lieben Gott. Und je weniger der Künstler dazu beiträgt, desto besser wird es."

In diesem Sinne wünsche ich, dass meine Kunst dazu beiträgt, Menschen, die diesen Raum aufsuchen, Ruhe, Geborgenheit und inneren Frieden zu schenken. So sei es.

 

Kerstin Carbow